Xxi. §. 5. Kreuzzug Wider die Wenden.
399
heit in den kirchlichen Lehren zu erlangen. Im Mittelalter nannte
man solche dialektische Theologen Scholastiker und ihre Ausgabe
war: jede kirchliche Lehre mit der größtmöglichen Schärfe und Gründ-
lichkeit festzustellen, gegen alle Einwendungen zu vertheidigen und mit haar-
spaltender Genauigkeit ihre Anwendung nach jeder Seite hin aufzuweisen.
Als Führer der langen, langen Reihe von Scholastikern des Mittelalters
stand dem Bernhard der berühmte Abälard gegenüber. Aber Abä-
lard war nicht so fromm als er gelehrt war, Deshalb hat er schwere
Demüthigungen erdulden müssen, und Bernhard wurde es nicht schwer,
ihn zu überwinden. Aber seine Schüler waren unendlich zahlreicher als die
Bernhard' s. Denn durch den genauen Verkehr Deutschlands mit dem
noch von alter Zeit her gebildeten Italien, mit den scharfsinnigen und ver-
schmitzten Griechen, mit den phantastischen und überschwänglichen Völ-
kern des Morgenlandes, Christen und Saracenen, war in fortgehender
Steigerung ein so gewaltiger Drang und Trieb nach eigner Weiterbil-
dung unter die Deutschen und ihre nächsten Nachbarn gekommen, daß
mit dem Beginn des zwölften Jahrhunderts wie aus einer geöffneten
Thür uns eine unabsehbare Schaar von Gelehrten und Schriftstellern,
von Dichtern und Sängern, von Künstlern und ausgezeichneten Män-
nern aller Art entgegentritt. Es ist die Vlüthezeit des Mittelalters, in
die wir eingetreten sind — die höchste Mannigfaltigkeit der Gaben,
Kräfte, Talente, Aemter, Würden, Trachten, Sitten unter der Alles
überschattenden Einheit der von Gott hoch erhobenen römischen Kircke
und des päpstlichen Scepters.
§. 5. Kreuzzug wider die Wenden.
Zu gleicher Zeit mit dem zweiten Kreuzzug wider die Sarace-
nen, der so unglücklich auslief, wurde noch ein anderer Kreuzzug un-
ternommen, der das weite Reich des Papstes wieder um ein bedeuten-
des Stück vergrößerte. Es ist schon früher erwähnt (S. 376), daß die
schönen Eroberungen und Stiftungen Heinrich' s I. und der Ottonen
zwischen Elbe und Oder unter den schwächeren Kaisern, besonders
unter Heinrich Iv. fast gänzlich wieder verfallen waren und daß
auch Polen und Böhmen immer nur in sehr zweifelhafter Abhängig-
keit vom deutschen Reiche standen. Polen war aber indeß, eben so
wie Böhmen, ein durchaus christliches Land geworden, hatte Bischöfe
und Erzbischöfe, Kirchen und Klöster und sorgte für Ausbreitung deö
Christenthums auch in denjenigen heidnischen Ländern, die es eroberte,
absonderlich in Pommern. Der Polenherzog Boleslav lud selbst
den deutschen Bischof Otto von Bamberg ein, mit ihm und unter-
feinem Schutz nach Pommern zu ziehen, um die reichen und lebens-
frohen Pommern zu bekehren. Wirklich gelang es dem Bamberger
Bischof und dem polnischen Herzog, die Kirche in Pommern wenig-
stens zu begründen. Dagegen die vom Kaiser und von den Sach-
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T37: [Friedrich Brandenburg Heinrich Herzog Sachsen Land Albrecht Kaiser Mark Johann], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T18: [Mark Brandenburg Land Albrecht Friedrich Kaiser Jahr Markgraf Haus Markgrafe], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T74: [Zeit Wissenschaft Philosophie Geschichte Philosoph Werk Lehrer Schrift Sokrat Schüler], T77: [Papst Bischof Kaiser Rom Kirche König Heinrich Erzbischof Gregor Papste], T187: [Religion Christus Christ Christentum Zeit Jahr Volk Christenthum Heide Geburt]]
Extrahierte Personennamen: Bernhard Bernhard Heinrich_Iv Heinrich Polenherzog_Boleslav Otto_von_Bamberg Otto
400
Xxi. §. 5. Kreuzzug wider die Wenden.
senherzögen eingesetzten Markgrafen im Wendenland und die Erz-
bischöfe von Magdeburg hatten nun fast hundert Jahre hindurch zu-
gesehen, wie alle christlichen Stiftungen im Wenden lande zwischen
Elbe und Oder immer auf's Neue wieder von den empörten Heiden
vernichtet wurden, also daß auf dem rechten Elbufer nur gar wenig
Christen zu finden waren. Als nun Bernhard von Clairvaux
im Namen des Papstes Eugen die Deutschen zur Kreuzfahrt nach
Jerusalem aufforderte, antworteten mehrere norddeutsche Fürsten ganz
verständig: sie hätten Heiden genug in der Nähe zu bekämpfen und
brauchten deshalb nicht erst nach Asten zu ziehen. Dem frommen
Bernhard war solche Antwort höchst befremdend. Er hatte gar
nicht geglaubt, daß an den Grenzen, ja eigentlich im Schooße des
deutschen Reichs die Heiden seit Jahrhunderten von den christlichen
Fürsten in Ruhe gelassen wurden. Er strafte die Fürsten hart ob
solcher Säumigkeit und betrieb jetzt selbst die Unternehmung eines
Kreuzzuges gegen die heidnischen Wenden mit größtem Eifer. Die-
selben Gnaden und Segnungen wie den Kreuzfahrern gegen Jeru-
salem sollten denen zu Theil werden, die das wendische Kreuz näh-
men (1147). Es war ihrer eine ziemlich bedeutende Zahl, an der
Spitze der Herzog von Sachsen Heinrich der Löwe und dessen
Schwiegervater Herzog Konrad von Zähringen (dessen Besitzungen
im Elsaß, Baden, Schweiz und Burgund zu suchen sind). An 100,000
Streiter zogen mit ihnen. Sie theilten sich in zwei Haufen. Der
eine wandte sich gegen Niclot, den Obotritenfürst, dessen Reich an
dem Ufer der Ostsee entlang etwa von Lübeck bis nach Stralsund
reichte. Der andere zog von Magdeburg aus gegen die untere
Oder. Große Kriegsthaten sind freilich nicht geschehen; aber der
Hauptzweck des Zuges wurde erreicht. Der Schrecken über solch ein
gewaltiges, von kirchlichem Eifer erfülltes Heer war unter den Wen-
den so groß und wirkte so nachhaltig, daß überall das Christenthum
ohne Widerstreben zugelassen wurde. Ueberall wurden Kirchen und
Klöster, Domstister und Schulen neu gegründet oder wiederhergestellt;
Priester und christliche Ansiedler aus Deutschland kamen in's Land;
der Herzog von Sachsen und seine Grafen konnten ungestört und
mit fester Hand die christliche Herrschaft führen, und wenn auch lang-
sam, so ging doch Schritt vor Schritt das bisher so widerspenstige,
rohe, abgöttische Volk einer völligen Umwandlung entgegen. Der
letzte heidnische Tempel, der umgestürzt wurde, war der Tempel des
Svan tev i t auf der Nordspitze Deutschlands, zu Arcona auf Rügen;
er wurde 1169 von den Dänen zerstört.
TM Hauptwörter (50): [T46: [Heinrich König Otto Kaiser Sohn Herzog Karl Ludwig Sachsen Jahr], T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T37: [Friedrich Brandenburg Heinrich Herzog Sachsen Land Albrecht Kaiser Mark Johann], T26: [Gott Christus Christ Volk Herr Jahr Kirche Land Zeit Jude], T83: [Karl Heinrich König Otto Sohn Reich Kaiser Sachsen Ludwig Herzog], T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf]]
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Extrahierte Personennamen: Bernhard_von_Clairvaux Eugen Bernhard Heinrich_der_Löwe Heinrich Konrad_von_Zähringen Konrad
Xxi. §. 6. Neue Siege der Päpste über Kaiser Friedrich I. rc. 401
Schwerlich würde dies Ziel im nordöstlichen Deutschland so bald
erreicht sein, wenn nicht eben damals in der Mark Brandenburg ein
Mann aufgetreten wäre, den wir mit Stolz und Freude als den Be-
gründer des später so ruhmreichen brandenburgisch-preußischen Staates
begrüßen. Markgraf Albrecht von Ballenstädt, gewöhnlich Albrecht
der Bär genannt, aus dem Hause der Askanier, war vom Kaiser
Lothar von Sachsen 1134 und dann noch förmlicher von Kaiser
Konrad Iii. 1142 mit der Markgrafschaft Brandenburg belehnt und
zwar so, daß er nicht mehr abhängig von Sachsen, sondern als selb-
ständiger Reichsfürst seine Markgrafschaft erblich besitzen solle mit allen
den Ehren und Rechten, welche sonst nur Herzögen zukommen. Er
ward Erzkämmerer des deutschen Reichs, so wie die übrigen Herzöge
Erzmarschall, Erzmundschenk, Erztruchseß u. s. w. waren. Er benutzte
den erwähnten wendischen Kreuzzug sogleich, um seine Herrschaft bis an
die Oder auszubreiten, und war entschlossen, das Heidenthum um jeden
Preis niederzukümpfen und das Christenrhum zur alleinigen Herrschaft
zu erbeben. Deshalb berief er sofort deutsche, besonders holländische
Colonisten in das entvölkerte und verödete Land, die den Boden fleißig
anbauten, Städte gründeten und zahlreiche Dörfer anlegten, lieberall
erhüben sich die schützenden Burgen mächtiger Ritter, gelehrte Mönche
und fromme Priester kamen schaarenweise herbei; die lange darnieder-
liegenden Bisthümer von Havelberg und Brandenburg wurden glänzender
als je wieder aufgerichtet und fester begründet. Auch die seit dem ersten
Kreuzzug im gelobten Lande gestifteten kriegerischen Mönchsorden der
Johanniter und Tempelherren bat ec um Ueberlassung einer
Anzahl von Brüdern und Rittern, die mit den Werken der Liebe und
mit der Kraft des Schwertes die Ueberreste des Heidenlhums völlig zu
Boden werfen sollten. Und wunderbar blühte das Land unter seiner
eignen und seiner askanischen Nachfolger kräftiger Leitung auf. Ueberall
wurden Wälder ausgerodet, Sümpfe ausgetrocknet, öde Haidestrecken
urbar gemacht, Wohlstand und rege Thütigkeit konnte man nach allen
Seiten hin mit Behagen wahrnehmen. Selbst die Wenden, die als
Besiegte das schwere Loos hatten, Leibeigene der deutschen Sieger zu
werden, wurden von der frischen und strebsamen Thätigkeit der deutschen
Ansiedler mit fortgerissen, entsagten dem trägen Brüten und sinnlichen
Nichtsthun und wetteiferten mit ihren Grundherren im Anbau des Bo-
dens und in der Erweiterung der Cultur. Die mildere Sinnesart, die
mit dem Christentyum in's Land gekommen war, verschaffte vielen
solcher wendischen Dienstleute die Freiheit und allmälig verschmolzen
sie mit ihren deutschen Ueberwindern zu einem kräftigen und lebens-
frischen Volksstamm, dem eine große Zukunft aufbehalten war.
§. 6. Neue Siege der Päpste über Kaiser Friedrich I.
und den König von England.
Hatten bisher die Päpste seit Gregor's Vii. Zeit einen Sieg
nach dem andern über die Kaiser und Könige erlangt und ihre theo-
kratische Oberherrschaft trotz alles Widerstandes immer durchführen
v. Nohden, Leitfaden. 26
TM Hauptwörter (50): [T46: [Heinrich König Otto Kaiser Sohn Herzog Karl Ludwig Sachsen Jahr], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_I. Albrecht_von_Ballenstädt Albrecht Albrecht Lothar_von_Sachsen Konrad_Iii Konrad Friedrich_I. Friedrich_I.
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Brandenburg Sachsen Havelberg Brandenburg England
518 Xxiii. §. 14. Ungehinderte Ausbreitung des Protestantismus.
bald sehen, durch welche Mittel. Für die nächste Zukunft schien es
nun, als ob der Ausbreitung des Protestantismus nordwärts der Al-
pen und Pyrenäen durchaus keine Schranken mehr entgegenständen.
In Deutschland breitete sich die evangelische Kirche unter Kaiser F er -
dinand's und seines Nachfolgers Mari milian's Regierung (1564
—76) dermaßen aus, daß alle bisher noch katholischen Gebiete, auch
Westphalen, auch die rheinischen Lande, auch Franken und Bayern
sich offenbar von der katholischen Kirche abwendeten. Neun Zehntheil
der Deutschen hingen dem Evangelium an. Selbst die eignen Be-
sitzungen der Kaiser, ja die Kaiser selbst blieben von diesem mächtigen
Vordringen der evangelischen Lehre nicht unberührt. Kaiser Mar
hat beim Papst immer als ein arger Ketzer gegolten. Der ganze
östreichische Adel war protestantisch. In Ungarn ward ein Luthe-
raner zum Reichsstatthalter erhoben. In Böhmen wurden die mäh-
rischen Brüder anerkannt, in der Lausitz ward die Reformation voll-
ständig eingeführt. Natürlich wirkte das auch auf Polen zurück.
Die Mehrzahl der Edelleute neigte sich zum evangelischen Bekenntniß.
König Siegmund August war nicht gemeint, den Protestantismus
in seinem Lande zu stören. Und so sah es anfänglich auch im We-
sten, in Frankreich aus. Dort hatten die Protestanten bereits 1559
öffentlich eine Synode gehalten, fast in jeder Provinz konnte man pro-
testantische Versammlungen und 'Gottesdienste sehen, calvinische Lehren
und Predigten hören. Fast durfte man zweifeln, ob auch nur der
vierte Theil des Landes von den Ketzereien unberührt geblieben sei.
Zu Anfang 1562 erfolgte ein Edict, welches dem Protestantismus in
Frankreich ein gesetzliches Dasein zugesteht. Von Frankreich aber
fluthete der Strom der calvinischen Lehren unaufhaltsam in die Nie-
derlande hinein. Es half der spanischen Regierung in Flandern nichts,
daß sie die Ketzer zu Tausenden schlachtete (an 36,000 Lutheraner
sollen innerhalb eines Jahrzehendö hingerichtet worden sein); aller
Widerstand war vergeblich. Wir werden noch weiter zu sehen haben,
wie die protestantische Kirche sich auch in den Niederlanden ein ge-
setzliches Bestehen erkämpfte. Und soeben geschah dasselbe auch in Eng-
land. Nach dem Tode der blutigen Maria und seit dem Regierungs-
antritt der Königin Elisabeth (1558—1603) gewann auch dort
die Reformation eine sichere und unantastbare Herrschaft.
So schien es fast, als sollte es in Deutschland und dessen östlichen
und westlichen Nachbarländern in kurzer Zeit mit dem Katholicismus
vollends zu Ende gehen. Nicht bloß die vornehmeren Stände, sondern
das gesammte Volk war von unkatholischen Begriffen und Neigungen
TM Hauptwörter (50): [T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T31: [König Ludwig Karl Sohn Maria Frankreich Kaiser Tod England Philipp]]
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Extrahierte Personennamen: Mari_milian's Siegmund_August August Maria Maria
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Ungarn Frankreich Frankreich Frankreich Flandern Niederlanden Eng- Deutschland
582 Xxv. §. 5. Der wachsende Unglaube unter Friedrich Ii.
selbst ohne Glauben war. Wie schnell war da der Uebergang gemacht,
von den ehrbaren biblischen Stoffen, die man angefangen zu behan-
deln, von der Messtade, von der Noachiade, vom Tode Abels u. s. w-,
zu völlig heidnischen Gegenständen. Klop stock selbst, wie ver-
senkte er sich so ganz in die altdeutsche Götterwelt; Wieland, wie
sank er von seinen biblischen Jugendpoesieen so völlig hinunter in die
gemeine Lüsternheit der französischen, heidnisch - epikuräischen Schrift-
stellerei. Und schon war der gewaltige Kritiker aufgestanden Lessing,
der mit seinem Alles zernagenden Geiste auch das gesammte Gebäude
des alten Kirchenthums zu unterwühlen anfing. „Das Christenthum,"
das war seine Grundanficht, „muß sich durch sich selbst legitimiren, durch
die Früchte, die es schafft; was liegt mir an den Beweisen für die
Wahrheit der Bibel und an der Behauptung der reinen Lehre? Laß
Christ und Jude und Türke zusammentreten und durch ihre Werke
mit einander wetteifern, wer die beste Religion hat." Das erschien
Tausenden als der Inbegriff aller Weisheit. Ueber dem Körnlein
Wahrheit, das darunter gemengt war, vernahmen sie nicht die unge-
heure Lüge, die in der Behauptung liegt, daß noch immer nicht ent-
schieden sei, welche Religion die besten Früchte trage, und daß der
Glaube aus dem unparteiischen Vergleichen des kühlen Verstandes
komme, statt aus der Tiefe eines bußfertigen und zerschlagenen Her-
zens. Natürlich ward auch Lessing wie alle vermeintlich vorurteils-
freien und parteilosen Denker, je länger je mehr ein Feind und Ver-
folger des christlichen Glaubens. Er freute sich des immer sich ver-
größernden Chores junger Dichter, die mit allem Ernst so redeten und
thaten, als wenn gar kein Evangelium, kein Christus in der Welt
wäre, noch je gewesen wäre, als wenn wir alle noch im heidnischen
Griechenland wohnten, und keine andere Gottheit kennten als Zeus,
Aphrodite und Apollo und die Musen, Faunen und Nymphen
u. dgl. Und nun leider waren es gerade diese Dichter, welche den
frischen jungen Morgen unserer deutschen Nationalliteratur heraufführ-
ten. Lessing erlebte es noch, daß mit Schiller und Goethe diese
neue Entwicklung ihrer vollen Mittagshöhe zuschritt. Aber auch diese
hochbegabten Dichter hatten Christo den Abschied gegeben und sich an
der Götterwelt des alten Heidenthums berauscht. Selbst solche Män-
ner, die mit Einem Fuß noch in dem alten Offenbarungsglauben
standen, wie etwa Herder, sie wurden von dem Zug des Stromes ge-
waltsam abwärts getrieben, und konnten sich nicht erwehren, die
Sprache der ungläubigen Zeitgenossen sich anzueignen. Nur hier und
da stand noch ein einsamer Zeuge der Wahrheit, unerschütterlich wie
Fels im Meer, so der Magus des Nordens, so der Wandsbecker
Bote; und doch auch ihnen merkt man es an, daß sie einer andern
Zeit angehören als der reichbegnadigten und gesalbten Väterzeit. Les-
sing war inzwischen mit sestöm Tritte auf seiner Bahn des kritischen
Niederreißens fortgegangen. Durch die Herausgabe der Wolfen büt-
telschen Fragmente meinte er die Art an die Wurzel des alten
Aberglaubens zu legen. Nur Wahrheit, Wahrheit war seine Losung,
und erkannte nicht oder wollte nicht erkennen, daß in den genannten
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie]]
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TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T172: [Dichter Zeit Gedicht Schiller Werk Goethe Maler Dichtung Lied Hans], T179: [Gott Mensch Wort Welt Erde Glaube Herr Sünde Himmel Satz], T187: [Religion Christus Christ Christentum Zeit Jahr Volk Christenthum Heide Geburt], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld]]
Extrahierte Personennamen: Friedrich_Ii Friedrich Lessing Ernst Christus Lessing Schiller Goethe Christo
Xxv. §. 6. Joseph Ii. und die völkerbeglückende Aufklärerei. 383
Fragmenten, zu deren Herausgabe er sich hergab, eine Verdrehung der
Wahrheit sich an die andere reiht, und mit geflissentlicher Bosheit dem
Herrn selber und seinen Aposteln und Evangelisten ein System der
Fälschung, des Betruges, der Lüge und des abgekarteten Heuchelwe-
sens Schuld gegeben wird, wie es wohl schwerlich jemals von einer
Rotte der abgefeimtesten Bösewichter erdacht und durchgeführt ist. Diese
Fragmente also, die 1774 erschienen, schlugen vollends dem Faß den
Boden aus. Wer irgend sich zu den Denkern und zu den Klugen
zählte, wunderte sich nur. daß er solch ungeheuren Betrug nicht selber
längst entdeckt, oder versicherte, er habe dergleichen im Stillen schon
immer geglaubt. Jetzt war die Bibel also beseitigt, und mit gutem
Gewissen konnte man der schalen, selbsterfundenen Vernunftreligion
huldigen oder lieber noch vdn aller Religion sich lossagen.
§. 6. Joseph Ii. und die völkerbeglückende Aufklärerei.
Die Zeit nach dem siebenjährigen Kriege zeigte bereits alle Vor-
boten der noch vor Schluß des vorigen Jahrhunderts ausbrechenden
gewaltigen Umwälzung. Der große Abfall, welcher bereits in den
hervorragenden Geistern begonnen hatte, konnte doch nicht zur Voll-
endung kommen, so lange noch die Macht, die ihn zurückhielt, die
Regierungsgewalt feststand. Sollte das Chriftenthum abgethan
werden, so mußte zuerst die Obrigkeit hinweggethan werden. Denn
eine Obrigkeit in christlichen Landen, sie mag selbst dem Christenthum
noch so feindlich gesinnt sein, wird doch nie die christliche Ordnung
und Lehre, die christlichen Gebräuche und Zucht auf die Dauer ent-
behren können, wie sich solches auch später in der französischen Revo-
lution gezeigt hat. So lange es also dem Satan nicht gelingt, die
christliche Obrigkeit hinwegzuthun, so lange kann auch das Reich des
Antichrist noch nicht erscheinen. Deshalb hat der alte Feind und
Menschenmörder in den letzten hundert Jahrerl Alles daran gesetzt, um
das Ansehen der Obrigkeit beim Volke zu untergraben und einen Geist
des Unwillens, der Verstimmung, des Mißtrauens und der innerlichen
Trennung zwischen Obrigkeit und Unterthanen zu erzeugen, der sich
bald in schrecklichen Thaten offenbaren sollte. Einerseits geschah das
durch die giftigen Federn der Schriftsteller, welche ihre selbsterschaf-
fenen Gedankenbilder vom paradiesischen Glück einer unschuldigen und
kindlich liebenswürdigen Menschheit ohne Fürsten und ohne Regierung
dem bethörten Volke als ein zu erstrebendes herrliches Ideal vormalte.
Andererseits geschah es durch die Verblendung und die unglaublichen
Mißgriffe der Regierungen selbst. Wir denken dabei nicht so sehr an
die Greuel, Laster und Unfläthigkeiten des französischen Hofes,
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T9: [Krieg Deutschland Reich Frankreich Preußen Macht Zeit Kaiser Jahr Frieden], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung]]
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674
Xxv. §. 14. Blick in die Heidenwelt.
seit Anfang dieses Jahrhunderts haben sich die Sendboten vieler eng-
lischer und amerikanischer Missionsvereine mit ihnen gemischt, so daß
Amerika jetzt nicht mehr als ein heidnischer Welttheil zu betrachten ist,
sondern als christlicher, halb evangelisch und halb katholisch. Und da-
bei ist noch eine ganz besondere, tief ergreifende Thatsache hervorzu-
heben. Bekanntlich herrscht in allen mittleren und südlichen Staaten
Amerika'ö die Sklaverei. Schwarze Sklaven waren aus Afrika her,
zum Theil unter empörenden Grausamkeiten nach Amerika geführt, um
in den Bergwerken und den Plantagen zu arbeiten. Man hatte wohl
Recht, sie zu beklagen als die herabgewürdigtsten und elendesten unter
den Söhnen Ham's, der aller seiner Brüder Knecht sein soll. Und
siehe, gerade diesen elendesten Knechten ging das helle Licht, der süße
Trost des Evangeliums am ehesten aus. Mit Haufen fielen sie den
barmherzigen und demüthigen Boten Jesu Christi zu. Wären sie in
ihrem Vaterlande, in Afrika, geblieben, sie würden noch lange nicht,
vielleicht in ihren: Leben nicht, eine Kunde vom Evangelium erlangt
haben. Denn kaum die äußersten Küstenränder Afrika's sind mit Mis-
sionaren versehen. Bis in das Innere des Landes, von woher die
meisten Sklaven stammen, hat noch kein christlicher Prediger zu drin-
gen vermocht, da das Land aus allen Seiten von todbringenden Rän-
dern umsäumt ist. So mußten sie denn als Sklaven aus ihrem irdi-
schen Heimathland hinweggeführt werden, um in der Fremde zur ewigen
evangelischen Freiheit und zur seligen Heimath der Kinder Gottes ge-
führt zu werden. — Auch im südlichen Afrika, im Capland, ist die
Brüdermission die erste gewesen. Sie hat dort 1736 begonnen, und
nachdem sie von den europäischen Ansiedlern vertrieben war, zum zwei-
ten Male 1792. Auch dort haben sich eine Menge englischer, schotti-
scher, amerikanischer, deutscher und sogar französischer Missionare an-
geschlossen; das ganze Capland ist als ein christliches Land zu bezeichnen,
und weithin in'ö Innere des unbekannten Landes, zu den Kafsern,
Betschuanen und Hottentotten sind die Boten Christi vorgeschritten,
überall, wohin sie kamen, die Erweisungen göttlicher Gnaden mit sich
tragend.
Mittlerweile hat sich auch die dänisch-hallische Mission in Ost-
indien weiter entwickelt. In Ostindien war die Aufgabe eine ganz
andere, als in den amerikanischen und afrikanischen Gebieten und auf
den Inseln der Südsee. An allen diesen Punkten waren es wilde, rohe
Völkerschaften, auch die gefördertsten unter ihnen doch nur mit sehr
geringen Anfängen staatlicher Bildung und geistiger Entwicklung, ihr
Götzendienst roh, scheußlich, abgeschmackt, ihre religiösen Vorstellungen
unsinnig, ekelhaft, oder ganz in Vergessenheit gerathen, ihre äußere
Lage dürftig, unsicher und allem Jammer preisgegeben. Da konnte
denn kein Zweifel sein, daß Viele, daß eine große Menge sich dem Rufe
dessen zuwenden würde, der alle Mühseligen und Beladenen so freund-
lich zu sich einladet. Aber anders steht die Sache im südöstlichen Asien.
Jene beiden großen Reiche Ostindien und China, die beiden letzten
noch aus uralter grauer Heidenzeit unverändert bis in unsere Zeit hin-
einreichenden Heidenstaaten voll der reichsten Bildung und alt einhei-
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm]]
TM Hauptwörter (100): [T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T95: [Bewohner Sprache Volk Land Bevölkerung deutsche Stamm Religion Neger Einwohner], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T64: [Insel Amerika Land Spanier Australien Kolonie Hauptstadt Küste Entdeckung San], T0: [Meer Insel Halbinsel Küste Ozean Afrika Land Europa Kap Straße]]
TM Hauptwörter (200): [T109: [Europa Asien Afrika Amerika Australien Insel Erdteil Land Zone Klima], T187: [Religion Christus Christ Christentum Zeit Jahr Volk Christenthum Heide Geburt], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch], T159: [Bewohner deutsche Bevölkerung Sprache Neger Volk Jude Einwohner Stamm Land]]
Extrahierte Personennamen: Jesu_Christi
Extrahierte Ortsnamen: Amerika Afrika Amerika Afrika Gottes Afrika Christi Ostindien Asien Ostindien China
676
Xxv. §. 14. Blick in die Heidenwelt.
die glühenden Sandwüsten Afrika's. Sie übersteigen die Felsenketten
Nordamerika's und die Gletscherriesen des Himalaya. Sie predigen
den Negersklaven in der Gluthhitze der westindischen Inseln und sammeln
ihre schönen olivenfarbigen Zuhörer unter den Palmen der paradiesischen
Eilande der Südsee. Sie reden in der sonderbaren glucksenden
Sprache mit den Eskimos, sie schnalzen mit den Hottentottenstämmen
des südlichen Afrika, sie singen den Chinesen ihre wunderlichen Silbcn-
figuren nach. So stehen sie und predigen unter allen Zonen, in allen
Sprachen der bewohnten Erde, und niemals wissen sie einen andern
Inhalt, ein anderes Thema als die Predigt vom gekreuzigten Christus,
der die bußfertigen Sünder selig macht. Und diese einfache Verkündi-
gung ist es, welche den rothen wie den braunen, den schwarzen wie
den gelben Sohn der Wildniß zu den Füßen des Herrn Jesu nieder-
zwingt, ihn aus einem Tiger zu einem Lamme, aus einem stumpfsin-
nigen Müßiggänger zu einem geschickten, fleißigen, demüthigen und
eifrigen Jünger Christi macht. Die Erde wird voll werden der Er-
kenntniß des Herrn, das Evangelium soll gepredigt werden aller
Creatur, und das wird bald geschehen; denn nur wenig Orte in der
Welt sind noch übrig, wo es noch nie, zu keiner Zeit geschehen ist,
wo es auch für's Erste, so weit Menschen Augen reichen, noch nicht
geschehen kann.
Auch unser Vaterland hat sich nach dem Schluß des Befreiungs-
krieges alsbald auf's Neue aufgemacht, um eine desto reichlichere
Schaar von Boten zu dem großen über die ganze Erde zerstreuten
Heere stoßen zu lassen. Während in England zu Ende des vorigen
Jahrhunderts sich eine Missions-Gesellschaft neben der andern erhob,
war in Deutschland unter dem Druck des allgemeinen Unglaubens die
einzige Misstonsanstalt, die vorhanden war, zu Halle, gelähmt und ein-
geschlafen. Aber das Beispiel Englands erweckte bald die Nacheiferung
unter den „Stillen im Lande". Jänicke, der vielgenannte gottselige
Prediger in Berlin, errichtete 1800 seine Missionsschule, aus der so
viele reichbegnadigte Boten des Evangeliums ausgegangen sind. Meist
nach englischen Missionsstationen. Denn die Engländer fanden gar bald,
daß die deutschen Missionare den englischen noch in vielen Rücksichten
vorzuziehen seien, und arbeiten deshalb auch jetzt noch immer sehr
gern mit deutschen Sendlingen. Als die erste selbständig aussendende
Missionsgesellschaft trat 1816 die baseler Gesellschaft hervor. Die
Kalmükken im russischen Heer, welche 1814 und 1815 in der Nähe
von Basel sich zeigten, hatten etliche der angesehensten Männer daselbst
zu dem Entschluß gebracht, diesen Heiden oder ihren Nachbaren und
Stammesgenoffen das ewige Licht der Offenbarung zuzutragen. Ihre
ersten Boten gingen deshalb in die Länder am schwarzen und kaspi-
schen Meer, nachher als ihre Wirksanikeit dort gehemmt wurde, sind
sie zum Theil nach der Guineaküste, später auch nach China, vorzugs-
weise aber nach der malabarischen Küste in Ostindien geschickt. Süd-
wärts von Bombay, an dein schmalen Küstenstrich entlang und auf den
zunächst angrenzenden Bergen entfalten sie seit inehr als zwaiizig Iah,
ren (1834) ihre glaubensvolle, eifrige und erfolgreiche Thätigkeit unter
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Extrahierte Personennamen: Christus Jesu
Extrahierte Ortsnamen: Afrika Christi England Deutschland Englands Berlin Basel China Ostindien Bombay
Xxv. §. 11. Christliche Anstalten und Vereine. 845
großen, reichbegnadigten Anstalten und Gesellschaften hervor, welche
den großen Beruf Englands zum ersten Male in das rechte Licht stell-
ten , den Beruf: christlichen Glauben und Gesittung, protestantische
Lehre und praktische Frömmigkeit weit hinaus zu verbreiten über Län-
der und Meere in die Heidenwelt, und zugleich auch in der weichenden
und abgefallenen europäischen Christenheit den christlichen Ernst und
gläubigen Eifer neu zu beleben. Jene großen und unermüdlich thäti-
gen Vereine für Heidenmission und Judenmission, für Verbreitung von
Tractaten und heiligen Schriften, die nun alle schon ihr fünfzigjähri-
ges Jubiläum gefeiert haben, welch eine Fülle von Erfrischung und
Förderung hat die gesammte Christenheit und Heidenwelt, hat inson-
derheit auch unser Vaterland ihnen zu danken. Als die Bibelge-
sellschaft, die bald ihre Hülfsvereine über ganz Deutschland und die
Nachbarstaaten verzweigte, die ersten Nachforschungen anstellen ließ,
wie viel Bibeln denn eigentlich wohl in der Welt zu finden seien, da
ergab sich, daß die 200 Millionen Christen, darunter etwa 60 Mil-
lionen evangelischer Christen, noch kaum 5 Millionen Bibeln be-
säßen, daß also von einer täglichen Beschäftigung mit dem theuren
Gotteswort weder bei Einzelnen noch in den Familien die Rede sein
könne. Und nun ist die Bibel übersetzt in 152 Sprachen (damals
kannte man sie nur in 27 Sprachen) und vertheilt in 50 Millionen
Eremplaren, und wird noch fort und fort mit immer neuem Eifer in
jedes Haus, an jedes Schulkind, an alle Neuvermählten ausgetheilt.
Kann solche Saat ohne Frucht bleiben? Gottes Wort wird nicht
leer zurückkommen.
Noch schneller und lieblicher zeigten sich die Rückwirkungen der
begonnenen Heidenmissionen. Die Nachrichten, welche von den
Erfolgen der Missionen zu uns herübertönten, klangen den meisten
Ohren wie ein Wunder, wie ein Märchen, und es schien ihnen un-
glaublich, daß die einfache Predigt des Evangeliums solche Wirkungen
haben könne, daß sie aus rohen Kannibalen gesittete Menschen, aus
blutigen Mörderrotten christliche Gemeinden, aus faulen, ekelhaften, in
Schmutz und Unzucht verkommenen Wilden demüthige, liebevolle, glau-
benseifrige Jünger des Herrn machen könne. Wie viel Hunderte,
wie viel Tausende im Vaterlande sind, durch die Missionsberichte
zuerst auf die Herrlichkeit des Evangeliums aufmerksam gemacht,
bald erwärmt, begeistert und selbst mit hingezogen zu den Füßen eines
solchen Siegers, dem auch die Enden der Erde dienstbar werden
müssen. Schon 1815 bildete sich die erste Missionsanstalt zu Basel,
und immer mehre haben sich ihr im westlichen und östlichen und
nördlichen Deutschland angeschlossen; und über unser ganzes
Land breitet sich eine Kette von Vereinen, die allesammt mit Hand an-
legen wollen, um bei so hochgesegneter Christenarbeit mitzuhelfen. —
Aber war man nicht dasselbe, was man den Heiden that, auch den
unglücklichen, verkommenen Brüdern in der Heimath schuldig, die, sei
es ohne ihre Schuld oder mit eigner Schuld, nie das rechte, lautere,
trostbringende Evangelium gehört haben? Es entstand die sogenannte
innere Mission oder Heimathmission, welche kein anderes Ziel hat,
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Extrahierte Personennamen: Ernst
Extrahierte Ortsnamen: Englands Deutschland Basel Deutschland
Xxv. §. 15. Blick in die Zukunft.
681
bloß aus der sich mehrenden Kraft des Unglaubens und der entschie-
denen Feindschaft gegen den Herrn und sein Reich, aus der Auflösung
aller Bande von Zucht und Treue, aus den staatsumwälzenden, alle
Sittlichkeit verhöhnenden Grundsätzen der großen Masse, sondern auch
noch aus zwei anderen Zeichen, welche neben allen diesen Erscheinun-
gen hergehen. Das eine ist die Heidenmission, das andere ist
die Bekehrung Jsrael'ö. Wir sahen schon in dem vorigen Para-
graphen, daß erst dann das Ende kommen wird, wenn das Evange-
lium gepredigt ist in der ganzen Welt. Das ist eine in der hei-
ligen Schrift ganz feststehende Voraussetzung, und wir sahen schon,
wie nahe ihre Erfüllung ist. Es heißt aber gepredigt, nicht an-
genommen. Daß alle Heidenvölker aus der ganzen Erde sich be-
kehren und das Evangelium annehmen und gläubig und selig werden
sollen, davon ist nirgend die Rede. Dagegen ist auf das Bestimmteste
geweissagt, daß Israel, daö seit Christi Zeiten verblendete und ver-
stockte, seit Jerusalem's Untergang über die ganze Erde zerstreute Volk
der Juden, sich einstmals bekehren und reuig wiederkommen werde zu
seinem Heiland und Messias, und daß diese Bekehrung Jsrael's eine
gewaltige Bewegung auch unter der noch übrigen Heidenwelt hervor-
bringen werde, so daß große Schaaren von Heiden alsdann in das
Reich Christi einzugehen trachten (Röm. 11; vgl. Jes. 66 und
Sach. 12). Auch dazu bereitet sich vor unseren Augen Alles vor. Es
ist in unseren Tagen eine Bewegung unter Israel erwacht, eine Bewe-
gung zum Christenthum hin, welcher aus dem Verlauf aller früheren
Jahrhunderte Nichts an die Seite gestellt werden kann. Verweilen
wir noch einen Augenblick bei diesem merkwürdigsten aller Völker, dem
alten, einst so hoch begnadigten, nun so tief verstoßenen Gottesvolk der
Juden. Jener fromme Prediger hat ganz Recht gehabt, als er dem
ungläubigen spottenden Könige, der in einem einzigen Wort einen
schlagenden Beweis für die Wahrheit der biblischen Worte und Weis-
sagungen haben wollte, nichts Anderes antwortete, als: die Juden.
Denn es ist eine in der ganzen Weltgeschichte unerhörte Thatsache
ohne Gleichen, daß ein verhältnißmäßig kleines Volk von etwa sieben
Millionen, auseinandergesprengt, verfolgt, zertreten, über die ganze Erde
verstreut, mit der entsetzlichsten Grausamkeit und ausgesuchtesten Bos-
heit unterdrückt, ohne einen nationalen Mittelpunkt, ohne sichtbaren
Zusammenhang unter einander, dennoch Jahrtausende hindurch sich er-
halten hat und immer noch erhält, unverändert und unvermischt mit-
ten unter Heiden, Türken und Christen lebend und doch auf's Strengste
von Allen gesondert, von Allen verachtet, unterdrückt und doch nicht
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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